Wealthcap Future Lab
„Je höher die städtische Dichte, desto attraktiver muss der öffentliche Raum sein“
Welchen Impact hat das Action Field #PERMANENT BETA auf die Stadt und Immobilie von morgen? Dazu hat das Future Lab mit Dietmar Leyk, Architekt, Co-Gründer von SPACECOUNCIL, gesprochen.
Inhalt der Studie
„In Singapur herrschte lange Zeit eine permanente Angst vor Überbevölkerung“, berichtet Dietmar Leyk. Leyk ist Architekt, Co-Gründer von SPACECOUNCIL, einem Büro für Entwurf, Innovation und Strategie in Architektur, Innenraum und Stadt mit Sitz in Zürich und Singapur. Fünf Jahre lang hat er in Singapur gelebt, wo er unter anderem Szenarien für das 600 Hektar große Tanjong-Pagar-Waterfront-Projekt für 160.000 Bewohner und 100.000 Arbeitsplätze als Projektleiter entwickelt hat. Im Gespräch mit Raphael Gielgen, Trendscout beim Schweizer Möbelhersteller Vitra, erläutert er beim Wealthcap Future Lab, wie städtische Dichte gestaltet werden sollte.
Wealthcap Future Lab - Shark Session mit Dietmar Leyk von SPACECOUNCIL
Wealthcap Future Lab - Shark Session mit Dietmar Leyk von SPACECOUNCIL Dietmar Leyk ist Architekt, Co-Gründer von SPACECOUNCIL, einem Architektur- und Beratungsbüro mit Sitz in Zürich und Singapur und hat selbst fünf Jahre lang in Singapur gelebt, wo er viele Projekte begleitet hat. Im Gespräch mit Raphael Gielgen, Trendscout beim Schweizer Möbelhersteller Vitra, und Sonja Straubinger von Wealthcap erläutert er, unter anderem, was in der Stadtplanung beachtet werden muss. Und, dass Stadtplanung und Permanent Beta kein Widerspruch darstellen.
„Singapur hatte in 2021 mehr als 5,4 Millionen Einwohner, 1,2 Millionen mehr als noch vor 20 Jahren. Und das auf einer Fläche, die kleiner ist als die Hamburgs mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern. Gleichzeitig leistet sich der Stadtstaat Singapur relativ große Reservate als grüne, kühlende Lungen, insgesamt sind 8 % der Flächen Singapurs Parks und Naturschutzgebiete plus 5 % aller Flächen in Singapur sind Wasserreservoirs. Im bebauten Teil Singapurs besteht also eine um so höhere städtische Dichte. Die Frage lautet: Wie gestaltet man diese Dichte so, dass sie innerhalb dieser räumlichen Nähe eine Vielfalt und hohe Erlebnisqualität erzeugt?“
„Je höher die städtische Dichte, desto attraktiver muss der öffentliche Raum sein“, ist Leyk überzeugt. „Und je attraktiver der öffentliche Raum, desto attraktiver die Stadt. Diesem Grundgedanken folgt die heutige Stadtentwicklung Singapurs. Hilfreich dabei ist sicherlich die üppige Natur. Aber auch an Architekturen werden hohe Maßstäbe gesetzt. Das gilt gerade in den zurückliegenden Jahren auch im geförderten Wohnungsbau, den sogenannten HDBs (Gebäude und Wohnungen des Housing & Development Boards), in dem rund 80 % (ca. 3 Millionen Menschen) der Bevölkerung Singapurs leben.“
Stadtplanung und Permanent Beta – ein Widerspruch?
Eine sich dynamisch entwickelnde Stadt – und dafür ist Singapur vielleicht ein extremes, aber gerade deshalb gutes Beispiel – unterliegt einem permanenten Wandel. „Global betrachtet sind in den meisten Fällen die städtischen Entwicklungs- und Masterpläne zu langfristig, zu großmaßstäblich und zu starr ausgerichtet. Geläufige, oft noch analoge Planungstools sind heutzutage zu langsam für unsere beschleunigte Welt“, meint Leyk. „Wir brauchen mehr strategisches Denken, innerhalb dessen der langfristige Planungshorizont in kleinere handhabbare Einheiten unterteilt wird.“ Der stete Wandel mache eine Anpassung an neue demografische, regional- und stadtökonomische Gegebenheiten und sich verändernde Quartiersumgebungen erforderlich. „Das erleben wir auch in persönlichen Lebensläufen der Stadtbewohner:innen: Die Menschen haben vielfältigere Lebensentwürfe und Mehrfachkarrieren, sie erfinden sich öfters neu als in früheren Generationen. Das beschleunigt auch den Wandel der Stadt.“
„Hierzu werden ‚Extended Realities‘ beziehungsweise das Metaverse einen spannenden Beitrag im Sinne einer interdisziplinären Kommunikation leisten, bei der Quantitäten, aber vor allem auch Qualitäten stets holistisch miteinander in Verhandlung treten können. Wir können heute virtuell simulieren, wie wir die Städte und Architekturen in kommenden Jahren neu erfinden und zum Besseren gestalten werden – und diese Erkenntnisse heute schon bei einer Objekt- oder Quartiersplanung berücksichtigen“, schwärmt Leyk aus eigener Erfahrung, die er in Singapur bereits damit gemacht hat. Zugleich sollte man mit den Erwartungen aber auch nicht übertreiben: „Metaverse und ‚Extended Realities‘ sind ein kreatives Dialogmedium und wertvoll zum Entwerfen von Quartieren und Gebäuden. Sie können die physische Welt ergänzen und bereichern, aber niemals die Erfahrungen, die wir in der realen Welt machen, ersetzen.“
Die Zukunft gehört denen, die aktiv eine bessere Zukunft entwerfen
Die bebaute Umwelt verursacht fast 50 % der jährlichen weltweiten CO2-Emissionen. Der Bau und Betrieb von Gebäuden verursacht 38 % der weltweiten Treibhausgasemissionen. Die Kreislaufwirtschaft, besonders in der Bauwirtschaft, sei ein ebenso überlebenswichtiges wie ambitioniertes Vorhaben, sagt Dietmar Leyk. Eine vollständige Kreislaufwirtschaft werde es wohl nie geben, aber übergeordnet gebe es in allen Bereichen unserer täglichen Aktivitäten noch sehr viel Verbesserungspotenzial, was das Produzieren, Verteilen, Nutzen und Wiederverwerten betrifft. Eine große Herausforderung sei, dass es aufgrund ihrer Komplexität kaum eine allgemeingültige Taxonomie zu dem Thema gebe.
Retrofit ist oft die bessere Lösung
Als Beispiel nennt er die häufig aufkommende Frage, ob Abriss und Neubau oder Sanierung und Umnutzung eines Bestandsgebäudes die bessere und effizientere Strategie sei. „Retrofit ist heute oft die bessere Lösung“, weiß Leyk. „Hier sollte man auch mal ‚out of the box‘ denken, was neue Nutzungen betrifft – vielleicht ein Botanischer Garten im 42. Stockwerk. Vor allem bei Hochhäusern sollte das vorhandene Hochhausskelett unbedingt kritisch hinterfragt werden, ob es nicht weiter genutzt werden kann, weil hier am meisten Energie und ‚graue Emissionen‘ verbaut sind. So spart man Geld und Ressourcen.“ Am effektivsten sei die Kreislaufwirtschaft jedoch, wenn bei einer Neupositionierung möglichst wenig bauliche Änderungen notwendig seien. „Eine möglichst hohe Nutzungsflexibilität der gebauten Architektur bei hohem Identifikationspotenzial mit dem Gebäude oder dem Quartier sind hierbei wesentliche Hebel, die unbedingt berücksichtigt werden sollten.“
Einfache Lösungen für komplexe Aufgaben
„Anpassungsfähigkeit und Effektivität sollten nicht nur im großen, sondern auch im kleinen Maßstab berücksichtigt werden. Eine bewusste Reduktion auf das Pure und einfache Lösungen für komplexe Aufgaben gehören zu unseren Strategien bei SPACECOUNCIL“, so Leyk. „Ein Vorgehen könnte sein, mit möglichst standardisierten, auch vorgefertigten Komponenten zu arbeiten, wie etwa mit modularen Systemen, die mittels digital gesteuerten Produktionswerkzeugen spezifisch variiert werden können. Einen Anwendungsbereich könnte man im Wohnen finden.“
Die unterschiedlichen Kulturen nicht vergessen
Obwohl räumliche und sozioökonomische Diversität immer eine hohe städtische Qualität verspräche, mache es einen großen Unterschied, ob man ein Gebäude oder ein Quartier in Südostasien, in Nordamerika oder vielleicht in Bayern oder in der Schweiz entwirft – „Gerade wenn man über das Thema städtische Dichte spricht“, so Leyk. Nicht nur klimatische Bedingungen sind dramatisch anders, auch die Arbeits- und Lebensgewohnheiten unterscheiden sich deutlich, und wer das nicht angemessen berücksichtigt, könne keine nachhaltig wettbewerbsfähigen Arbeits- und Lebenswelten schaffen. „Zusätzlich zu diesen Unterschieden gibt es einen steten Fluss an Veränderungen. Um talentierte Mitarbeiter für ein Unternehmen zu gewinnen, sind Arbeitsumgebungen wie die in den USA früher weit verbreiteten sehr tiefen Bürotypologien, die den Mitarbeitern kaum erlaubten, das Tageslicht zu sehen, nicht mehr haltbar. Auch die gerade viel diskutierte Frage nach Office oder Homeoffice wird schon kurzfristig nicht mehr wichtig sein.
Im Gegensatz zu der klassischen Arbeitsgesellschaft erleben wir gerade den Wandel hin zu einer Sinngesellschaft verbunden mit veränderten anspruchsvollen sozialen und ökologischen Werten der Mitarbeiter. Die Anpassung der in Zukunft kürzeren Arbeitszeit an die private Zeit, die unmittelbare Nähe des Arbeitsplatzes zur Natur, eine große Auswahl an komfortablen räumlichen Situationen, in denen die Möglichkeit besteht, jederzeit gleichgesinnte Kollegen unterschiedlichster Herkunft zu treffen, sind wichtige Grundbedingungen an die Architektur zukünftiger Arbeitswelten, um überhaupt noch talentierte Mitarbeiter an ein Unternehmen zu binden. Das bedeutet, unsere kreativen und analytischen Kräfte zu bündeln, um den Raum für eine menschlichere Zukunft zu gestalten und dabei unsere langjährige Erfahrung in Architektur, Kunst, Technologie und Wissenschaft einzubringen für den Entwurf innovativer Architekturen, Quartiere und sogar ganzer Städte.“
Definition Action-Field: Permanent Beta
Die Arbeit in dynamischen Gruppen und Formen ist zu einem wesentlichen Bestandteil jedes wissensökonomischen Unternehmens geworden. Mit dem verstärkten Einfluss sich ständig weiterentwickelnder Technologien auf Arbeitsabläufe und die architektonische Gestaltung von Arbeitsumgebungen haben wir uns daran gewöhnt, kontinuierliche Verbesserungen in immer kürzeren Zeitzyklen und endlosen Lebenszyklen von Betaversionen vorzunehmen. Innovation wird somit zu einem kontinuierlichen Prozess, Ergebnisse und Produkte sind niemals final.
Weite Teile der Wirtschaft basieren in Zukunft auf dem Konzept „Permanent Beta“. Dessen Wesen ist die ständige Verbesserung von Produkten oder Services durch das Feedback aller Akteur:innen. Die Menschen sind bereit, selbst zu Verbesserungen beizutragen.
Die räumlichen Umgebungen sind eine Grundlage für diese veränderte Form der Wissensarbeit. Unabhängig davon, ob Mitarbeiter:innen Einfluss auf ihren Arbeitsbereich ausüben oder diesem ständig neue Features oder Funktionen hinzugefügt werden. Deshalb ist sehr hohe Flexibilität gefragt. Co-Working-Umgebungen adressieren dieses Arbeitsangebot in großem Umfang. Bestandsimmobilien und deren Nachbarschaften sind auf dieses Potenzial hin zu untersuchen, da das Angebot zumeist nicht über die etablierten Anbieter:innen abgedeckt werden kann.